Das Nachsorge Wohnprojekt

 

1. Die Ausgangslage

Der Landkreis Konstanz  verfügt über eine überdurchschnittlich entwickelte Drogenszene.

Durch eine qualifizierte Beratungsstelle wird auf den ambulanten Behandlungs- und Beratungsbedarf eingegangen. Durch eine qualifizierte Entzugsstation mit angeschlossener Suchtambulanz vor Ort ist der Bereich der Krisenintervention, der Akutbehandlung und des Entzugs abgedeckt. Beide Einrichtungen kooperieren eng, insbesondere im Bereich der Therapievermittlungen.

Das therapeutische Angebot einer betreuten Wohnmöglichkeit nach stationärem Entzug oder Langzeittherapie fehlte in der Region bisher völlig.

Unser Nachsorgewohnprojekt reagiert auf den seit vielen Jahren sichtbaren Bedarf nach betreuten, drogenfreien Wohnmöglichkeiten im Anschluss an eine stationäre Therapie. Es ist in erster Linie für Klienten unserer Beratungsstelle bzw. aus der Region konzipiert. Bei einer regelmäßigen Vermittlungszahl von durchschnittlich 50 Menschen pro Jahr in stationäre Therapien ist es zwangsläufig, dass ein Teil der Klienten danach in den Landkreis Konstanz zurückkehrt. Wir haben immer wieder beobachtet, dass die Umsetzung des in der Therapie Gelernten im alten regionalen-, familiären- und sozialen Umfeld äußerst schwierig ist, und überproportional häufig zu Rückfällen führt.

Für Klienten mit einer Doppeldiagnose gibt es in der Regel keinerlei betreutes Wohnangebot.

Die Kooperation mit der Institutsambulanz des Zentrums für Psychiatrie Reichenau ( ZPR) bietet die Möglichkeit auch Patienten mit einer co-morbiden Erkrankung (Sucht und Psychose oder Sucht und schwere Persönlichkeitsstörung) aufnehmen. Gerade diese Patienten fallen nach einer Klinikentlassung durch die Maschen des Versorgungsnetzes. Oft gelingt es diesen Patienten, die stationäre Therapie durchzuhalten, auf Grund ihrer „Grenzgängerposition“ kommen sie mit dem bisherigen Versorgungssystem jedoch dann nicht mehr zurecht. Die Beratungsstellen alleine sind überfordert, die niedergelassenen Nervenärzte haben erfahrungsgemäß mit diesen Patienten wenig Kontakt. Hausärzte oder evtl. substituierende Ärzte sind ebenfalls überfordert.

 

2. Beschreibung des Wohnprojekts

Das Nachsorge Wohnpojekt I in Radolfzell besteht seit 2003. Es wurde von der Drogenberatung im Landkreis Konstanz konzipiert und ins Leben gerufen. Eine Anschubfinanzierung durch die Illenau Stiftung ermöglichte die Realisierung.

Zum 01. Juli 2005 ging die Trägerschaft auf den Hilfsverein für seelische Gesundheit e.V. über.

Die Konzeption, die verantwortlichen Mitarbeiter und die Räumlichkeiten blieben unverändert. Durch die Kooperation der beiden Vereine konnten für das Wohnprojekt neue Ressourcen und Kompetenzen erschlossen werden.

 

Zielgruppe sind von illegalen Drogen abhängige Männer und Frauen. Die Aufnahme von Betroffenen mit einer Doppeldiagnose ist möglich. Klienten aus dem Landkreis werden bevorzugt.

 

Die allgemeinen Zielsetzungen des Projekts:

  • Die Angebote der Beratungsstelle sollen an entscheidender Stelle ergänzt und abgerundet werden.
  • Es ist ein regionales Hilfsangebot für Drogenabhängige, das geeignet ist nachhaltig Suchtkreisläufe zu durchbrechen.
  • Wir wollen gemeinsam mit den, und für die Bewohner einen Raum schaffen, in dem die Transformation der in stationärer Therapie erreichten Verhaltens- und Einstellungsänderungen in die gesellschaftliche Alltagsrealität unterstützt wird.
  • Absolute Nüchternheit und Gewaltfreiheit ist die Basis des Wohnprojekts. Wir arbeiten nicht mit Rückfällen.
  • Das Wohnprojekt wird nach den Prinzipien einer therapeutische Gemeinschaft geführt in der jeder für sich und die Mitbewohner Verantwortung trägt. Damit verbunden sollte die persönliche Transparenz in Wort und Tat sein.
  • Die soziale Integration sehen wir als zentrales Ziel an, da nur so eine stabile Nüchternheit erreicht werden kann. Hiermit verbunden ist Arbeitssuche, Arbeitsaufnahme und die Entwicklung eines befriedigenden Freizeitverhaltens.
  • Das Wohnprojekt ist eng an die Beratungsstelle angebunden, um den Klienten das ganze Spektrum unserer Ressourcen und Erfahrungen zugänglich zu machen
  • Die enge Zusammenarbeit mit dem ZPR Reichenau, speziell der Suchtambulanz, ist Bestandteil der Konzeption
  • Diese Zusammenarbeit ermöglicht auch die Aufnahme von Klienten mit einer Doppeldiagnose
  • Indirekt soll durch das Projekt die Selbsthilfe in der Region gestärkt werden.

 

Für den Erfolg des Wohnprojekts ist die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen der Suchthilfe von entscheidender Bedeutung. Bei der Vorbereitung einer Aufnahme ist eine sehr enge Zusammenarbeit mit der stationären Therapie und den Bezugstherapeuten notwendig. Diese sollen mit den Klienten den Gesamtbehandlungsplan erstellen und die Motivation für die Nachsorge erarbeiten.

In Krisensituationen und bei psychiatrischen Fragen ist der Rückgriff auf die Suchtambulanz und die Entzugsstation des ZPR- Reichenau wichtig. Ergänzt werden kann diese durch zusätzliche Angebote bei niedergelassenen Psychotherapeuten.

Die gute Zusammenarbeit mit Behörden: Sozialamt, Jugendamt, Arbeitsamt u.a. ist für uns selbstverständlich.

Unser Nachsorgewohnprojekt bietet Drogenabhängigen die Möglichkeit, ihre stationäre Behandlung erfolgreich abzuschließen und sich die Basis für ein nüchternes Leben zu erarbeiten.

 

3. Kurzkonzeption vom Nachsorge Wohnprojekt I

Die Entwicklung und Ausgestaltung der Konzeption erfolgt in einem Austausch zwischen Theorie und Praxis. Die Mitarbeiter der Beratungsstelle bringen ihre Erfahrungen aus dem langjährigen Betrieb der Übergangswohngelegenheit in Konstanz und der regelmäßigen ambulanten Nachsorgebehandlungen ein. Außerdem greifen wir auf die Erfahrungen sehr gut funktionierender Nachsorgeeinrichtungen zurück. (Wir holten uns Informationen und Anregungen von den Nachsorgeeinrichtungen des Friedrichshofs, von Hausen im Tal und von der Heilstätte Sieben Zwerge)

Die Konzeption wird ständig überprüft und weiterentwickelt.

Die Grundlage des betreuten Wohnen im Rahmen der Nachsorge ist über die Richtlinien der Empfehlungsvereinbarung Nachsorge vom 18.03.1987 geregelt, worauf an dieser Stelle verwiesen wird.

Das betreute Wohnen bietet für Suchtkranke einen Schutzraum vor Gewalt und Drogen und bildet somit die Basis für kritisches Reflektieren der eigenen Situation in der für den Therapieerfolg entscheidenten Phase der persönlichen und sozialen Reintegration.

Die Zielgruppe sind Drogenabhängige, die bereit sind, nach Abschluss einer stationären Maßnahme, die Regeln einer therapeutischen Wohngemeinschaft einzuhalten.

Bei einer ausschließlich ambulanten Behandlung wäre eine Labilisierung zu erwarten, die das Abstinenzziel gefährdet.

 

3.1. Strukturqualität

Der Träger des Projekts ist der Hilfsverein für seelische Gesundheit e.V., der im Landkreis Konstanz seit vielen Jahren ambulant betreutes Wohnen  für psychisch Kranke anbietet und die hierfür notwendigen fachlichen und organisatorischen Ressourcen vorhält. Kooperationspartner ist die: Drogenhilfe im Landkreis Konstanz e.V. b.z.w. deren: Drogenberatung (PSB) im Landkreis Konstanz, die das Wohnprojekt geplant, konzeptionell entwickelt und aufgebaut hat, und ihre Fachkräfte zur Verfügung stellt.

Die Kooperation der beiden Vereine bündelt deren Ressourcen und macht sie für das Projekt und die Klienten nutzbar.

Das Wohnprojekt ist in Radolfzell angesiedelt und liegt zentral im Landkreis Konstanz. Von dem Haus aus ist der Bahnhof in 5 Minuten erreichbar. Damit ist es den Bewohnern problemlos möglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln im gesamten Landkreis Konstanz eine Arbeitsstelle zu erreichen.

Ein Vorteil ist, dass die größten Drogenszenen der Region in Konstanz und Singen angesiedelt sind und Radolfzell von unseren Klienten in der Regel nicht mit Szene Erfahrungen in Verbindung gebracht wird.

Die Wohngemeinschaft befindet sich in der Innenstadt Radolfzells verteilt auch 2 gemeinschaftlich genutzte Wohnungen. Diese sind 2012 komplett umgebaut und saniert worden und bieten Wohnraum für 8 Bewohner. Sie verfügt über 2 Küchen, Gemeinschaftsräume und einen Balkon.

Das Wohnprojekt und die Bewohner sind in der Nachbarschaft sehr gut akzeptiert.

 

Die personelle Ausstattung entspricht formal einer 50%-Stelle, ist jedoch in der Realität stärker gewichtet. Das besondere an dem Projekt ist, dass die Betreuungsarbeit von einem Team erbracht wird.

  • Die Leiterin der Wohnprojekte des Hilfsvereins ist in der Regel 2x pro Woche im Haus.
  • Die therapeutischen Anteile der Betreuung werden von Mitarbeitern der Drogenberatungsstelle erbracht. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Durchführung der wöchentlichen Gruppe im Haus und der wöchentlichen therapeutischen Einzelgespräche in der Beratungsstelle.
  • Mitarbeiter der Beratungsstelle sind für die Durchführung des Bewerbungsverfahrens zuständig.
  • Fallbesprechungen finden unter Einbeziehung aller Mitarbeiter alle 4 Wochen im Team der Beratungsstelle statt.
  • die externe Supervision der Drogenberatungsstelle hat auch das Wohnprojekt zum Inhalt.
  • Berichterstattung und Dokumentation erfolgt durch die für die Einzelgespräche zuständigen Mitarbeiter der Beratungsstelle.

 

Insgesamt erhalten die Klienten auf diese Weise ein sehr breites personelles und fachliches Angebot, das im Umfang weit über den üblichen Personalschlüssel hinausgeht.

Wir halten dies für notwendig, da wir, speziell bei unserer Zielgruppe, die Nachsorge für den nachhaltigen Therapieerfolg als entscheidend ansehen.

 

3.3. Prozessqualität

Die Bewerbung kann über die Beratungsstelle und den Hilfsverein erfolgen. Im weiteren Bewerbungsverfahren wird die Eignung des Klienten für das Wohnprojekt und seine Motivation geklärt. Im 2. Schritt erfolgt ein Vorstellungsgespräch.  Danach findet ein mindestens 2-tägiges Probewohnen statt, das ein gegenseitiges Kennenlernen in der therapeutischen Gemeinschaft zum Ziel hat. Die Rückmeldungen der Bewohner fließen in die endgültige Entscheidung über eine Aufnahme ein. Diese Vorgehensweise halten wir für notwendig, da das Projekt auf den Prinzipien einer Therapeutische Gemeinschaft basiert, wo der gegenseitigen Verantwortlichkeit eine entscheidende Rolle zukommt.

Nach der Aufnahme erfolgt die Erstellung eines individuellen Behandlungsplans mit der Mitarbeiterin vor Ort. Dieser Behandlungsplan wird im Laufe der Behandlung regelmäßig überprüft, fortgeführt und ggf. ergänzt.

 

Die individuellen Ziele sind in der Regel:

 

  • Selbständige Alltagsbewältigung mit dem angestrebten Gefühl subjektiver Lebenszufriedenheit.
  • Transfer der in stationärer Therapie erarbeiteten Lebenskompetenzmuster in den
  • Bereich des selbständigen Lebens.
  • Stabilisierung der Abstinenz
  • Therapeutische Weiterbearbeitung der Suchtproblematik
  • Bearbeitung der Familieproblematik (Familiengespräche)
  • Medizinische Behandlungen von Folgeerkrankungen z. B. Hepatitis C
  • Aufnahme von Arbeit, Ausbildung oder Studium
  • Aufbau eines drogenfreien sozialen Umfeldes
  • Entwicklung eines gesunden, befriedigenden Freizeitverhaltes
  • Schuldensanierung, finanzielle Selbständigkeit
  • Führerscheinerwerb
  • selbständige Haushaltsführung
  • Suche einer eigenen Wohnung
  • Anschluss an eine Selbsthilfegruppe
  • bei Indikation Vermittlung in (anschließende) Psychotherapie

 

Diese individuellen Ziele sind Thema in den Einzel- und Gruppengesprächen. Fortschritte werden regelmäßig benannt, auftretende Schwierigkeiten und Blockaden bearbeitet.

Um das Erreichen der Ziele zu unterstützen sind therapeutische, sozialarbeiterische Interventionen notwendig. Organisatorische und verwaltungstechnische Tätigkeiten in Zusammenarbeit mit Behörden und Institution werden erforderlich.

Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, dass es gelingt, eine tragfähige, vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient und Mitarbeitern aufzubauen!

Wie schon oben dargestellt ist der Klient im Laufe der Behandlung eng an die Drogenberatung und deren Mitarbeiter angebunden. Während der Behandlung ist es vorgesehen, dass je nach Bedarf mit den verschiedensten Stellen zusammen gearbeitet wird. Jobcenter, niedergelassene Ärzte, Jugendamt, u.s.w. Ein zentraler Kooperationspartner ist die Suchtambulanz des ZPR Reichenau die eine Möglichkeit zur Krisenintervention bietet, und es erst ermöglicht auch Patienten mit einer Co-morbiden Erkrankung (Sucht u .Psychose oder Sucht u. schwere Persönlichkeitsstörung) aufzunehmen.

Die Nachsorgebehandlung endet idealtypisch mit der stabilen Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung und der erfolgreichen Wohnungssuche.

Wir fördern und pflegen sehr den Kontakt mit den ehemaligen Bewohnern und bieten weiterführende Einzelgespräche und Gruppen mit den Mitarbeitern der Beratungsstelle an.

Unter den „Ehemaligen“ soll sich ein nüchternes Selbsthilfenetzwerk bilden.

 

3.4.   Ergebnisqualität

  • Die Dokumentation der Nachsorgebehandlung erfolgt jeweils durch den Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle der die therapeutischen Einzelgespräche durchführt.
  • In monatlichen Fallbesprechungen werden alle betreuten Klienten in kollegialer Supervision ausführlich besprochen.
  • Auch an der externe Supervision der Beratungsstelle nimmt die beim Hilfsverein angestellte Mitarbeiterin vor regelmäßig teil.
  • Die statistische Auswertung des betreuten Wohnprojekts erfolgt nach dem Dokumentationssystem EBIS und wird jährlich in einem Tätigkeitsbericht dargestellt.

 

Die Ergebnisse und Auswertungen der ersten Jahre, die in unserem Tätigkeitsbericht dargestellt sind, zeigen, dass die im Nachsorge Wohnprojekt I geleistete Arbeit sehr erfolgreich ist. Was uns ermutigt, das Projekt in der beschrieben Form fortzuführen und nach Möglichkeit zu erweitern

 

 

Konstanz, den 30.11.2006

 

 

G. Hähl   – Leiter der Beratungsstelle